Klatschen

Klatschen von Dana Berg


„Stell Dir vor, in diesem Moment würden Außerirdische auf uns herabsehen. Die müssen uns für bescheuert halten.“ So bringt es ein Freund auf den Punkt, wann immer wir unter enthusiastischen Klatschern sind. Eigentlich weiß ich nicht, was er damit sagen will, vielleicht findet er Klatschen infantil, hallt doch das Backe-Backe-Kuchen in jedem Klatschen deutlich nach. Ich habe ihn nie danach gefragt, weil der Ausspruch dieses diffuse Gefühl, dass mich beim Klatschen überfällt, genau benennt: Bescheuert.


Höchst ungern klatsche ich im Kollektiv, ich klatsche äußerst selten und wenn doch, dann ostentativ nachlässig. Ich klatsche mit Hingabe schlampig. Vielleicht ist es das kollektive Einverständnis, diese kurze überschäumende Gemeinschaft, die sich plötzlich kundtut und schnell wieder verschwindet. Oder genauer, ich misstraue diesem offenkundigen Gemeinsinn, dieser demonstrativen Einigkeit. Denn Klatschen scheint mir nichts als ein Ritual, eine Konvention. Es ist schicklich, pfui. Mit dem Klatschen macht man sich gemein. Ob mir etwas gefällt oder nicht, klatscht einer vor, klatsche ich, klatschen alle nach. Der Bäcker hat gerufen.


Erstaunlicherweise klatsche ich umso öfter und besessener privat, ich klatsche für Freund*innen, ich klatsche, wenn etwas gelingt, manchmal aus reinem Überschwang. Klatschen ist also auch für mich ein Ausdruck von Freude oder Anerkennung, wahrscheinlich die einfachste und unmissverständlichste Art, dies mitzuteilen. Zugleich fühle ich mich dabei nicht minder bescheuert. Ich klatsche wie ein aufgeregtes Kind, dem es an sprachlichen Möglichkeiten gebricht. Ja, ich klatsche mich in die Kindheit zurück, sicher, weil vieles Beklatschenswerte mich tatsächlich in diesem Moment der Euphorie schlicht sprachlos macht.


Inzwischen ist das Klatschen nicht allein an Darbietungen gebunden. Es wurde aufopfernd für Ärzt*, Pfleger* oder Kassierer*innen geklatscht. In bestimmten Regionen, so las ich, fand man sich zu festgelegter Uhrzeit an Fenstern und Balkonen zusammen, um in großer, überwältigender Gemeinschaft unisono zu klatschen. Ich hörte Aufnahmen aus New York und bin zugleich gerührt, als auch unangenehm berührt. Die olle Scham regt sich, jene Scham, die bei mir unweigerlich entsteht, wenn Emotionen in gemeinschaftliche Wallung geraten. Das bleibt den Analytiker*innen überlassen. Für die Toten, sagt eine Freundin, klatscht keiner. Für die Toten fehlt jeder Gemeinsinn. Nur Freude eignet dem Kollektiv. Die Trauer aber, sagt dieselbe Freundin, hat es schwer. Die Trauer ist allein.


Hier, in der Provinz wird nicht geklatscht oder nur im Keller. Die Fenster bleiben geschlossen und die Balkone verwaist. Danke, jedoch! In den ersten Tagen bedanken sich viele überschwänglich bei den Supermarkt-Kassierer*innen. Danke, dass sie durchhalten, dass sie für uns da sind, sagen die kundigen Kund*innen zum Beispiel. Als ich an der Reihe bin, als ich artig zu danken habe, bekomme ich nur mein alltägliches „Danke“ und den Wunsch für einen schönen Tag über die Lippen. Was ich seit Jahr und Tag sage, wie es mir Muttern beibrachte. Alles andere käme mir, angesichts diesem müden Frauengesicht so lächerlich, erbärmlich, ach, einfach bescheuert vor. Schönen Tag auch!


Nur wenige Wochen später gibt es keine Dankeshymnen mehr, selbst das alltägliche Danke, eine Höflichkeitsfloskel, wie es zuweilen auch das Klatschen ist, kommt bei genauer Beobachtung nur selten bis überhaupt nicht vor. Man zahlt und geht und schaut dem / der Kassierer*in maximal 2 Sekunden ins Gesicht oder zetert ungehalten, wenn er / sie die Milch auf zwei Packungen pro Haushalt rationiert. Die Kassierer*in ist bereits vergessen, bevor man den Laden verlassen hat. Wobei sie ihrerseits niemals die Gebote der Höflichkeit vergessen. Nen’ schönen Tag wünsch ich!


Wir verfangen letztlich in unseren Kasten.


Für ein halbes Jahr durfte ich in der Pfalz gastieren, nahe der Weinstraße. Mag sein, es lag an den opulenten Weinschorlen (0,5), die man zu jeder Tageszeit bekam, als sei es selbstverständlich, aber dort lernte ich mit den Kassier*innen zu babbeln. Gefühlt hatten alle die Ewigkeit gepachtet, es war keine Seltenheit, dass man sich gegenseitig den Vortritt anbot, egal wie leer oder voll der Wagen war, ein kleines Schauspiel, das fast ins Lächerliche driftete und immer hieß es: Ajoo, isch hab Zeit. War man dran, weil man niemandem mehr den Vortritt lassen konnte, wurde der Einkauf von der Kassiererin inspiziert und wild darüber spekuliert, was man daraus wohl kochen könne. Man konnte den Laden nicht verlassen, ohne einander zu sehen, ohne zu babbeln. Ein Danke war das absolute Minimum an Konversation, mehr als nur guter Ton. Dieses System hätte ich gerne importiert. Manchmal kaufe ich extra-originell ein, in der Hoffnung, den Verkäufer*innen ein kleines Gespräch zu entlocken, erfolglos. Nicht alles lässt sich einfach importieren und schon gar nicht in die ostdeutsche Provinz.


Schlussendlich ist weder mit dem Gebabbel, noch mit dem Dank, noch mit dem Klatschen irgendjemandem geholfen, außer mir und meinem Gewissen. Es sind Lippen- oder Händebekenntnisse. In der „Klatschforschung“, die nicht gerade umfangreich ist, geht man auch davon aus, dass wir am Schluss einer Darbietung nicht nur kollektiv danken, indem wir gemeinsam Beifall spenden, sondern uns zu Gehör bringen. Getreu dem Motto: Nach 16 Stunden Nibelungen bin ich aber dran.


Ich sage danke und betreibe damit den selben furchtbaren Ablasshandel wie die Klatscher. Nichts hat sich geändert, nichts wird sich ändern, nur weil ich mit den Kassiererinnen über Saumagen babbele, allein mein, unser Gewissen ist beruhigter und wir können uns auf die Schulter klopfen und sagen, wir haben unser Möglichstes, was zumeist über das absolute Minimum nicht hinausgeht, getan. Jetzt bin ich aber dran.


Wir haben geklatscht, wir haben artig danke gesagt, wir haben einen Gemeinsinn bekundet, der über die klatschende Gemeinschaft nicht hinausweist. Die Dinge können bleiben wie sie sind, so ungerecht wie immer. Einfach bescheuert!


(nh)